
Ich erinnere mich noch genau an meine ersten Tage als angehender Pflegefachmann. Ich stand im Klinikflur, mein Stethoskop um den Hals, den Notizblock in der Kitteltasche. Mein Herz klopfte schneller, als ich das erste Mal versuchte, mit der Quecksilbersäule den Blutdruck einer Patientin zu messen. Die Manschette wurde festgezurrt, das Ventil langsam geöffnet, der Puls durch das Stethoskop hörbar. Ich war mir nie ganz sicher, ob ich den systolischen Wert korrekt ablas oder ob das Rauschen nur Einbildung war. Auch das Fiebermessen war eine Geduldsprobe: Minutenlang musste das Thermometer unter die Zunge oder in die Achsel gelegt und anschliessend endlos geschüttelt werden, bis die Anzeige wieder auf null sprang. Damals schien das völlig normal. Heute genügt ein kurzer Scan an der Stirn, um die Temperatur zu messen. So viele Abläufe in der Pflege haben sich bereits gewandelt und doch stecken wir in einigen Bereichen noch am Anfang der Digitalisierung.

Die Dokumentation nimmt immer noch viel Zeit in Anspruch. Berichte werden handschriftlich verfasst, was mühsam und zeitraubend ist. Gleichzeitig gibt es längst KI-gestützte Lösungen, die durch Spracherkennung automatische Pflegeberichte erstellen können. Diese Systeme könnten Diagnosen, Vitalwerte und sogar Hinweise zur Stimmungslage einer/eines Patient:in in Echtzeit in strukturierte Daten umwandeln. Auch bei der Verordnung von Medikamenten würde künstliche Intelligenz in Sekunden erkennen, ob ein neues Präparat zu Wechselwirkungen mit einer bestehenden Therapie führen könnte.

Grosses Potenzial bietet KI ausserdem in der Prävention. Sensoren auf der Station könnten etwa Bewegungsmuster erfassen und dadurch frühzeitig eine Sturzgefahr melden, bevor etwas passiert. Vor allem in der Geriatrie liesse sich so die Sturzrate senken. Ebenso könnten Vitalwerte und andere Gesundheitsdaten in Echtzeit überwacht werden, um bei kritischen Abweichungen schnell reagieren zu können. Gerade in lebensbedrohlichen Situationen kann das wertvolle Zeit verschaffen. Auch in der Rehabilitation eröffnen KI-gestützte Roboter und virtuelle Realität neue Möglichkeiten: Patient:innen trainieren gezielt ihre Motorik und erhalten sofortiges Feedback, was ihre Genesung beschleunigt.
Der Nutzen von KI zeigt sich auch in der Entwicklung neuer Therapien. Die Technologie kann riesige Datenmengen durchforsten und Zusammenhänge erkennen, die selbst Expert:innen entgehen würden. So können Wirkstoffkombinationen gefunden und Nebenwirkungen schneller identifiziert werden, was eine präzisere, personalisierte Behandlung ermöglicht.

Trotzdem wird KI niemals die menschliche Interaktion ersetzen. Empathie, ein tröstendes Wort oder eine beruhigende Hand auf der Schulter – all das bleibt Aufgabe von Pflegekräften. Künstliche Intelligenz kann jedoch ein wichtiges Werkzeug sein, um repetitive Aufgaben zu übernehmen und so mehr Zeit für die direkte Patient:innen betreuung zu schaffen.
Gerade in der Schweiz sind viele Spitäler bei der Einführung von KI jedoch zurückhaltend. Ein Grund dafür sind oft die damit verbundenen Kosten. Die Anfangsinvestitionen für KI-Systeme können hoch sein und besonders in einem Land mit verschiedenen Finanzierungswegen wägt man solche Anschaffungen genau ab. Hinzu kommen historisch gewachsene IT-Strukturen, die in jedem Kanton und sogar innerhalb einzelner Spitäler unterschiedlich aussehen. Eine durchgängige Integration von neuen KI-Lösungen erfordert daher hohe Koordinations- und Anpassungsleistungen. Auch die Geschäftsleitungen, die privat durchaus modernste Smartphones nutzen, sind mitunter skeptisch. Sie fürchten Kontrollverlust und sind unsicher, wie KI-Systeme sicher in die Klinikabläufe eingebunden werden können.
Weitere Hürden ergeben sich aus dem Datenschutz und der föderalen Organisation. Kantonale Vorgaben zur Datennutzung sind unterschiedlich, weshalb es keine einheitlichen Richtlinien gibt. Viele Spitäler warten zudem auf konkrete Pilotprojekte, die den Erfolg von KI in der Praxis belegen. Diese Zurückhaltung bremst eine schnelle Verbreitung und führt dazu, dass oft jene Lösungen fehlen, welche die Vorteile im Alltag sichtbar machen könnten.

Trotz aller Herausforderungen bleibt die Frage, wie neue Technologien die Pflege wirklich verbessern können. Denken wir an den Beginn der Computertomographie in den 1970er Jahren oder an die Einführung elektronischer Patient:innenakten in den 1990ern: Was anfangs als überteuert oder unnötig galt, ist heute selbstverständlich. Auch bei der Telemedizin war die Skepsis gross, bis sie während der COVID-19-Pandemie zum Retter in der Not wurde. Es zeigt sich, dass es Zeit braucht, bis Innovationen akzeptiert sind – doch sobald sie einmal integriert sind, will niemand mehr auf sie verzichten.
Künstliche Intelligenz kann fehleranfällige, zeitraubende Prozesse optimieren und den Arbeitsalltag für Pflegekräfte deutlich entlasten. Zugleich müssen wir achtsam sein, damit Datenschutz, Ethik und das Wohl der Patient:innen nicht zu kurz kommen. KI ist kein Feind, sondern ein Werkzeug, das klug eingesetzt werden will. Der Fortschritt in der Medizin hat uns stets begleitet. Jetzt ist es an der Pflege, sich die neuesten Entwicklungen zunutze zu machen. Wenn wir die Risiken im Blick behalten und die Chancen mutig ergreifen, kann KI dazu beitragen, die Qualität der Patient:innen versorgung zu steigern und mehr Freiraum für menschliche Nähe zu schaffen, die in der Pflege unverzichtbar bleibt.
Was ist deine Sicht? Könnte KI dein Pflegeumfeld bereichern und welche konkreten Vorteile würdest du dir für deinen Alltag wünschen?
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