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„Wann kommt der Arzt?“

„Wann bekomme ich meine Laborwerte?“

„Wann gibt es endlich etwas zu essen?“

„Wann erfahre ich, wie meine Untersuchung ausgegangen ist?“

„Wann werden meine Schmerzen endlich besser?“

 „Wann darf ich nach Hause?“

Diese Fragen höre ich gefühlt unzählige Male am Tag. Mal leise und vorsichtig gestellt, mal ungeduldig, manchmal mit einem Hauch Verzweiflung. Ich verstehe sie. Wirklich.

Denn wer im Spital liegt, hat die Kontrolle über den eigenen Alltag verloren. Die gewohnte Routine ist weg. Stattdessen bestimmen fremde Abläufe den Tag – und niemand kann genau sagen, wann was passiert. Dieses Gefühl von Unsicherheit kenne ich nicht nur aus der Beobachtung. Ich sehe es in den Augen der Menschen, wenn ich morgens in die Zimmer gehe.

 

Warten als unsichtbarer Mitbewohner


Der Tag beginnt meist mit einem Warten:

auf uns Pflegefachpersonen.

Auf Medikamente,

auf Hilfe beim Waschen,

auf die Mobilisation,

auf das Frühstück.

auf Chemotherapie

auf Bestrahlung

Alles Dinge, die meine Patient:innen zu Hause selbstverständlich selbst erledigen würden.

Dann startet die nächste Runde: Warten auf die Visite. Auf Ärzt;innen. Auf Laborwerte, auf den MRT-Bericht, auf eine Entscheidung. Auf den Satz: „Sie dürfen nach Hause.“

Auf unserer onko-hämatologischen Station warten und fiebern wir oft gemeinsam mit unseren Patient:innen auf die Ergebnisse – und hoffen mit ihnen, dass die Blutwerte stimmen und der nächste Behandlungsschritt möglich wird. Doch dann begann das nächste Warten: auf die Austrittspapiere, auf die Organisation einer Reha oder Übergangspflege, auf den Transportdienst – manchmal auch auf die Lieferung von Heim-Sauerstoff oder die Schulung im Umgang mit einem Stoma oder einer Ernährungspumpe.


Wir warten mit

Was viele nicht sehen: Auch ich warte ständig. Auf Rückmeldungen der Ärzt:innen. Auf Laborergebnisse, ohne die ich keine Medikamente richten darf. Auf die Freigabe für eine Chemotherapie. Auf einen Rückruf von Angehörigen. Auf den Transportdienst, der den Patienten in die Radiologie bringt. Auf unterschriebene Dokumente.

Es gibt Tage, an denen ich gefühlt in einer langen Kette von Abhängigkeiten stehe – und ohne den nächsten Schritt davor geht gar nichts.

Deshalb sage ich oft :„Bitte haben Sie ein wenig Geduld.“

Das klingt für manche wie eine Standardfloskel. Für mich ist es eine ehrliche Bitte. Und gleichzeitig ein Versprechen: Sie sind nicht vergessen. Ich kümmere mich, sobald es geht.

 

Wie man Wartezeit sinnvoll füllen kann

Mit den Jahren habe ich gelernt, dass es einen Unterschied macht, wie man wartet. Und manchmal gebe ich meinen Patient:innen ganz konkrete Tipps, um diese Zeit aktiv zu gestalten:

  1. Etwas für den Kopf – Geschichten statt Gedankenkarussell


    Bringen Sie ein gutes Buch mit – am besten eines, in das Sie richtig eintauchen können. Wer lieber hört als liest, sollte Hörbücher oder Podcasts auf dem Handy haben. Ich sehe immer wieder, wie Menschen dadurch die chaotischer Spitalumgebung für eine Weile vergessen. Musik mit Kopfhörern kann ebenfalls ein kleiner Ausflug in eine andere Welt sein. Ich habe sogar Patient:innen, die sich Naturgeräusche anhören, um runterzukommen.


  2. Gedanken ordnen – Kontrolle zurückholen


    Viele fühlen sich im Spital passiv und ausgeliefert. Ein Notizbuch oder ein Blatt Papier kann helfen: Schreiben Sie Ihre Fragen für das nächste Arztgespräch auf, notieren Sie Symptome, die Ihnen auffallen, oder Gedanken, die Sie beschäftigen. So vergessen Sie nichts Wichtiges und haben das Gefühl, aktiv beteiligt zu sein. Manche beginnen sogar, ein kleines Tagebuch zu führen – und staunen später, wie viel sie geschafft haben.


  3. Kontakt nach draussen – Wärme ins Zimmer holen


    Ein vertrautes Gesicht oder eine liebe Stimme kann Wunder wirken. Telefonieren Sie mit Familie und Freunden oder nutzen Sie Videoanrufe. Manche meiner Patient:innen verabreden sich sogar mit ihren Angehörigen zu festen „Telefonzeiten“. Das gibt Struktur und etwas, worauf man sich freuen kann.


  4. Bewegung – für Körper und Geist


    Wenn es medizinisch erlaubt ist, bewegen Sie sich. Ein kurzer Gang über den Flur, ein paar sanfte Dehnübungen im Bett oder einfach für eine Weile aufrecht sitzen, kann den Kreislauf anregen, Schmerzen lindern und die Stimmung heben. Als ich in der Chirurgie gearbeitet habe, habe ich Patient:innen oft bei ihren ersten Schritten nach einer Operation begleitet – und dabei gesehen, wie ihr Lächeln zurückkehrte, sobald sie merkten: Ich kann wieder etwas tun


  5. Tagesstruktur – den Nebel lichten


    Fragen Sie uns Pflegefachpersonen, was grob für den Tag geplant ist. Wir können selten exakte Uhrzeiten nennen, aber oft zumindest eine Reihenfolge. Dieses Wissen gibt Orientierung und hilft, das Gefühl zu haben, nicht einfach im luftleeren Raum zu hängen.

 

Warten wird bleiben – aber nicht alles ist Stillstand


Das Warten im Spital wird nie ganz verschwinden. Doch es kann leichter werden, wenn man kleine Rituale einführt, achtsam mit sich umgeht und sich innerlich sagt: Ich bin in guten Händen, auch wenn gerade nichts passiert.

Und wenn ich das nächste Mal vor einem Bett stehe und sage: „Bitte, haben Sie Geduld.“

Dann wissen Sie: Ich meine es mit Respekt, Mitgefühl – und mit dem festen Willen, den nächsten Schritt so schnell wie möglich zu gehen.

Wir gehen ihn gemeinsam. Schritt für Schritt.

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„Wir sind nächste Woche in den Ferien und es wird niemand da sein, der sich um Grossmutter kümmern kann. Kann sie so lange hier im Spital bleiben, bis wir zurück sind?“ – Diese Frage stellte mir kürzlich die Tochter einer Patientin, deren Zustand nach erfolgreicher Behandlung stabil war.

Ich arbeite in einem Universitätsspital – nicht in einer Übergangspflegeeinrichtung, nicht in einem Pflegeheim. Und trotzdem begegnen mir solche Bitten beinahe täglich. Es sind keine medizinischen Fragen mehr, sondern soziale Hilferufe.

Ich dachte kurz nach – und antwortete, wie es mir meine 18 Jahre in der Schweiz beigebracht haben: diplomatisch, aber klar.„Ich verstehe gut, dass Sie nächste Woche nicht da sein werden. Aber der Zustand Ihrer Mutter ist stabil, ihre Laborwerte haben sich normalisiert. Aus medizinischer Sicht gibt es keinen Grund mehr, sie im Spital zu behalten. Ich empfehle Ihnen eine Übergangspflege oder eine Kur – das unterstützt ihre Genesung.“

 

Wenn das Spital zur letzten Hoffnung wird

Solche Situationen sind längst keine Ausnahme mehr. Unser Pflegesystem gerät an seine Grenzen – und das Spital wird zum Auffangnetz, weil andere Versorgungsformen fehlen.

Was wir in der Schweiz erleben, ist kein Einzelfall. Auch die österreichische Ärztin Monika Ferlitsch beschreibt diese Entwicklung treffend: Akutspitäler werden zunehmend zur Lösung für Betreuungslücken – obwohl sie dafür weder gebaut noch ausgerüstet sind.

 

Angehörige am Limit

Ich mache den Angehörigen keinen Vorwurf – ganz im Gegenteil. Ich sehe, wie sie kämpfen: mit der Pflege, mit dem Alltag, mit ihrer eigenen Belastung. Sie geben ihren Beruf auf, verzichten auf Einkommen, verlieren soziale Kontakte – alles aus Liebe.

Ich habe erschöpfte Töchter, verzweifelte Ehemänner, überforderte Enkel erlebt. Immer mit demselben Satz:„Ich kann nicht mehr. Bitte helfen Sie.“

Doch genau da beginnt das Dilemma: Wenn pflegende Angehörige ausfallen, bleibt oft nur das Spital – nicht aus medizinischer Notwendigkeit, sondern weil es keine Alternativen gibt.

 

Fakten, die das Problem belegen

Dass diese Entwicklung kein Einzelfall ist, belegen zahlreiche Studien:

  • 📈 Obsan-Bulletin 1/2022: Der Pflegebedarf wächst rapide, das Angebot hinkt hinterher.

  • 📊 BFS-Pflegebericht 2020: Die Zahl der Pflegebedürftigen wird sich bis 2040 verdoppeln.

  • 🛏 H+ warnt vor zunehmenden „sozialen Hospitalisierungen“ – Belegung von Akutbetten ohne medizinische Indikation.

  • 💬 Universität Basel (2023): Über 60 % der pflegenden Angehörigen fühlen sich psychisch stark belastet, 40 % wünschen sich mehr Unterstützung.

  • 🌍 OECD & European Observatory: Die Schweiz hat Nachholbedarf bei der Integration von Gesundheits- und Sozialversorgung.

 

Pflege ist längst eine öffentliche Aufgabe

Pflege darf nicht länger als Privatsache behandelt werden. Sie ist eine zentrale Säule unserer Gesellschaft – und verdient politische, strukturelle und finanzielle Anerkennung.

 

Was es jetzt braucht

✅ Kurzzeit- und Übergangspflegeplätze, die schnell verfügbar und klar finanziert sind – ohne lange Wartezeiten

Entlastungsangebote für Angehörige: Tagesstrukturen, betreute Ferienaufenthalte, Nachtbetreuung, psychologische Begleitung, Case Management

Pflegehotels: wohnliche, medizinisch betreute Übergangslösungen

Diese Forderungen sind keine Träumereien. Sie sind realistisch – und werden auch vom SBK-Dossier 2023 unterstützt.

 

Zeit für einen Systemwechsel

Pflege darf nicht länger aus der Perspektive der Lücke gedacht werden. Sie gehört ins Zentrum unseres Gesundheitssystems.

Dazu braucht es:

  • Eine nationale Pflegeplanung,

  • eine koordinierte Finanzierung,

  • und politischen Mut, Pflege als das zu behandeln, was sie ist: Ein Grundpfeiler unserer Gesellschaft.

 

Es geht um mehr als Versorgung

Es geht um Würde – für Pflegebedürftige, für Angehörige, für Pflegefachpersonen.

Wenn Akutspitäler weiterhin das tun sollen, wofür sie gebaut wurden, dürfen sie nicht Aufgaben übernehmen müssen, für die sie nie vorgesehen waren.


Wir müssen uns entscheiden:Wollen wir weiter improvisieren – oder endlich vorsorgen?

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Herzlich willkommen zum Blogbeitrag an diesem besonderen 1. August Während wir heute die Schönheit unserer Berge, die Stärke unserer Traditionen und den Geist unserer Eidgenossenschaft feiern, möchte ich einen Blick auf ein Thema werfen, das für die Zukunft unseres Landes ebenso entscheidend ist: die gelungene Integration. Es geht nicht nur darum, sich anzupassen, sondern darum, die enorme Bereicherung, die Vielfalt mit sich bringt, voll und ganz zu umarmen.

Die Diskussion um Integration ist oft vielschichtig und manchmal kontrovers. Kürzlich habe ich ein sehr aufschlussreiches Buch gelesen: "Das Integrationsparadox" von Aladin El-Mafaalani. Schon der Titel "Warum gelungene Integration zu mehr Konflikten führt" ist provokant. Doch beim genauen Hinsehen wird klar: Es geht nicht um das Scheitern von Integration, sondern darum, dass der Prozess selbst bestehende, oft ungesehene Spannungen und blinde Flecken aufdeckt. Und genau das ist der Weg zu einer stärkeren, gerechteren Gesellschaft.

El-Mafaalani beschreibt einen strukturellen Erwartungskonflikt. Einerseits gibt es die Erwartung, dass sich integrierte Menschen unauffällig anpassen. Andererseits erwarten viele gut integrierte Postmigrant:innen, mit ihrer sprachlichen, religiösen und vielfältigen Identität als "Deutschplus" – oder in unserem Fall "Schweizerplus" – anerkannt und wertgeschätzt zu werden. Beide Seiten übersehen dabei entscheidende Aspekte.

Der erste "blinde Fleck": Integration bedeutet nicht, den Glauben, die Muttersprache oder die Herkunft wie einen alten Anzug abzulegen. Es ist eher, so El-Mafaalani, wie eine zweite Haut anzulegen – eine Ergänzung, keine Ersetzung. Die Hautfarbe, Augenform oder der Name eines Menschen stellen kein Hindernis für "Unauffälligkeit" dar. Vielmehr prägen sie die Möglichkeiten des Aufgehens in der Masse und formen die Erfahrungen, Herausforderungen und Erfolge. Wer Aladin El-Mafaalani zu diesem Thema hört, weiss, wovon er redet. Es ist ein Plädoyer für Respekt und die Anerkennung, dass die individuellen Hintergründe das Ganze bereichern.

Der zweite "blinde Fleck" kommt von Klaus Bade: "Integration ist keine Einbahnstrasse." Dieser Satz, schon vor über 25 Jahren formuliert, ist die Quintessenz. Die Integration von Teilen in ein Ganzes verändert das Ganze selbst. Wie schon Aristoteles wusste: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile; es ist ein dynamisches Wechselspiel.

Genau hier knüpfen wir an eine zentrale Erkenntnis an, die auch für Unternehmen und Institutionen gilt: "Ein Unternehmen ist nicht inhärent rassistisch, sexistisch, klassistisch oder diskriminierend – der Prozess ist es, wenn nicht genug verschiedene Menschen im Raum sitzen.“ Genau das gilt auch für Spitäler. Vielfalt ist nicht nur ein schönes Ideal, keine blosse Dekoration an der Wand. Sie ist eine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit. 

Als Pflegefachmann habe ich aus erster Hand erfahren, dass Vielfalt nicht nur ein nettes Ideal ist, sondern eine entscheidende Zutat für den Erfolg – besonders in unserem Arbeitsalltag im Spital.

Ich erinnere mich an eine Situation auf meiner Station, die mir diese Wahrheit besonders deutlich gemacht hat. Wir hatten einen Patienten, dessen Familie aus einem anderen Kulturkreis stammte. Trotz unseres Engagements hatten wir Mühe, ihre nonverbalen Signale und traditionellen Ansichten über Gesundheit und Krankheit richtig zu deuten. Es war kein Mangel an Fürsorge, sondern ein Mangel an gemeinsamem Verständnis.

Dann kam eine Kollegin aus einem anderen kulturellen Hintergrund zum Team. Sie sprach mehrere Sprachen und verstand die Nuancen der Familie intuitiv. Sie konnte die Kommunikationslücke überbrücken, medizinische Informationen so erklären, dass sie Resonanz fanden, und ein Vertrauen aufbauen, das uns vorher fehlte. Die Betreuung des Patienten verbesserte sich dadurch erheblich, und auch wir als Team wurden dadurch effektiver.

Diese Erfahrung hat mir gezeigt: Vielfalt im Spitäler ist nicht nur eine Frage der Repräsentation. Es geht um bessere Patientenversorgung. Ein diverses Team kann die kulturellen Bedürfnisse von Patient:innen effektiver verstehen und darauf eingehen, was zu besseren Ergebnissen und einem größeren Vertrauensverhältnis führt.

Und diese Erkenntnis gilt nicht nur für die Arbeitswelt. In den kleinen und ländlichen Dörfern, wie auch in meinem, sehen wir immer noch eine Überrepräsentation von älteren, weissen Männern, während in den Städten die Durchmischung langsam aufholt. Ich wünsche mir, dass wir diese Vielfalt überall sehen – denn nur wenn verschiedene Menschen an einem Tisch sitzen, mit ihren unterschiedlichen Hintergründen, Erfahrungen und Perspektiven, finden wir robustere Problemlösungen. Kreativität blüht auf, und die Ergebnisse sind umfassender und inklusiver.

Denken Sie an die Herausforderungen, vor denen die Schweiz steht: demografischer Wandel, Fachkräftemangel, globale Wettbewerbsfähigkeit, Innovationsdruck. Wer ist besser geeignet, diese Herausforderungen zu meistern, als eine Belegschaft und eine Gesellschaft, die eine Vielzahl von Perspektiven, Erfahrungen und Fähigkeiten vereint?

An diesem 1. August, während wir unsere Schweizer Identität feiern, sollten wir auch die Dynamik würdigen, die entsteht, wenn wir neue Perspektiven und Erfahrungen in unser nationales Gefüge integrieren. Es ist nicht immer einfach, und ja, es kann Konflikte an die Oberfläche bringen. Aber diese Konflikte sind, wenn konstruktiv angegangen, ein Zeichen des Wachstums, ein Zeichen dafür, dass wir auf dem Weg zu einer vollständigeren, widerstandsfähigeren und letztlich wohlhabenderen Schweiz sind.

Unsere Stärke liegt nicht in der Gleichförmigkeit, sondern in unserer Fähigkeit, das unglaubliche Mosaik von Menschen, die die Schweiz ihr Zuhause nennen, zu umarmen und zu schätzen. Echte Integration bedeutet zu erkennen, dass jede Person mit ihrem einzigartigen Hintergrund und ihren Beiträgen den Reichtum und die Stärke unserer Nation mehrt.

In diesem Sinne: Einen schönen 1. August an alle

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