Das Warten – Alltag im Spital
- ignatius ounde
- 19. Aug.
- 3 Min. Lesezeit

„Wann kommt der Arzt?“
„Wann bekomme ich meine Laborwerte?“
„Wann gibt es endlich etwas zu essen?“
„Wann erfahre ich, wie meine Untersuchung ausgegangen ist?“
„Wann werden meine Schmerzen endlich besser?“
„Wann darf ich nach Hause?“
Diese Fragen höre ich gefühlt unzählige Male am Tag. Mal leise und vorsichtig gestellt, mal ungeduldig, manchmal mit einem Hauch Verzweiflung. Ich verstehe sie. Wirklich.
Denn wer im Spital liegt, hat die Kontrolle über den eigenen Alltag verloren. Die gewohnte Routine ist weg. Stattdessen bestimmen fremde Abläufe den Tag – und niemand kann genau sagen, wann was passiert. Dieses Gefühl von Unsicherheit kenne ich nicht nur aus der Beobachtung. Ich sehe es in den Augen der Menschen, wenn ich morgens in die Zimmer gehe.
Warten als unsichtbarer Mitbewohner
Der Tag beginnt meist mit einem Warten:
auf uns Pflegefachpersonen.
Auf Medikamente,
auf Hilfe beim Waschen,
auf die Mobilisation,
auf das Frühstück.
auf Chemotherapie
auf Bestrahlung
Alles Dinge, die meine Patient:innen zu Hause selbstverständlich selbst erledigen würden.
Dann startet die nächste Runde: Warten auf die Visite. Auf Ärzt;innen. Auf Laborwerte, auf den MRT-Bericht, auf eine Entscheidung. Auf den Satz: „Sie dürfen nach Hause.“
Auf unserer onko-hämatologischen Station warten und fiebern wir oft gemeinsam mit unseren Patient:innen auf die Ergebnisse – und hoffen mit ihnen, dass die Blutwerte stimmen und der nächste Behandlungsschritt möglich wird. Doch dann begann das nächste Warten: auf die Austrittspapiere, auf die Organisation einer Reha oder Übergangspflege, auf den Transportdienst – manchmal auch auf die Lieferung von Heim-Sauerstoff oder die Schulung im Umgang mit einem Stoma oder einer Ernährungspumpe.
Wir warten mit
Was viele nicht sehen: Auch ich warte ständig. Auf Rückmeldungen der Ärzt:innen. Auf Laborergebnisse, ohne die ich keine Medikamente richten darf. Auf die Freigabe für eine Chemotherapie. Auf einen Rückruf von Angehörigen. Auf den Transportdienst, der den Patienten in die Radiologie bringt. Auf unterschriebene Dokumente.
Es gibt Tage, an denen ich gefühlt in einer langen Kette von Abhängigkeiten stehe – und ohne den nächsten Schritt davor geht gar nichts.
Deshalb sage ich oft :„Bitte haben Sie ein wenig Geduld.“
Das klingt für manche wie eine Standardfloskel. Für mich ist es eine ehrliche Bitte. Und gleichzeitig ein Versprechen: Sie sind nicht vergessen. Ich kümmere mich, sobald es geht.
Wie man Wartezeit sinnvoll füllen kann
Mit den Jahren habe ich gelernt, dass es einen Unterschied macht, wie man wartet. Und manchmal gebe ich meinen Patient:innen ganz konkrete Tipps, um diese Zeit aktiv zu gestalten:
Etwas für den Kopf – Geschichten statt Gedankenkarussell
Bringen Sie ein gutes Buch mit – am besten eines, in das Sie richtig eintauchen können. Wer lieber hört als liest, sollte Hörbücher oder Podcasts auf dem Handy haben. Ich sehe immer wieder, wie Menschen dadurch die chaotischer Spitalumgebung für eine Weile vergessen. Musik mit Kopfhörern kann ebenfalls ein kleiner Ausflug in eine andere Welt sein. Ich habe sogar Patient:innen, die sich Naturgeräusche anhören, um runterzukommen.
Gedanken ordnen – Kontrolle zurückholen
Viele fühlen sich im Spital passiv und ausgeliefert. Ein Notizbuch oder ein Blatt Papier kann helfen: Schreiben Sie Ihre Fragen für das nächste Arztgespräch auf, notieren Sie Symptome, die Ihnen auffallen, oder Gedanken, die Sie beschäftigen. So vergessen Sie nichts Wichtiges und haben das Gefühl, aktiv beteiligt zu sein. Manche beginnen sogar, ein kleines Tagebuch zu führen – und staunen später, wie viel sie geschafft haben.
Kontakt nach draussen – Wärme ins Zimmer holen
Ein vertrautes Gesicht oder eine liebe Stimme kann Wunder wirken. Telefonieren Sie mit Familie und Freunden oder nutzen Sie Videoanrufe. Manche meiner Patient:innen verabreden sich sogar mit ihren Angehörigen zu festen „Telefonzeiten“. Das gibt Struktur und etwas, worauf man sich freuen kann.
Bewegung – für Körper und Geist
Wenn es medizinisch erlaubt ist, bewegen Sie sich. Ein kurzer Gang über den Flur, ein paar sanfte Dehnübungen im Bett oder einfach für eine Weile aufrecht sitzen, kann den Kreislauf anregen, Schmerzen lindern und die Stimmung heben. Als ich in der Chirurgie gearbeitet habe, habe ich Patient:innen oft bei ihren ersten Schritten nach einer Operation begleitet – und dabei gesehen, wie ihr Lächeln zurückkehrte, sobald sie merkten: Ich kann wieder etwas tun
Tagesstruktur – den Nebel lichten
Fragen Sie uns Pflegefachpersonen, was grob für den Tag geplant ist. Wir können selten exakte Uhrzeiten nennen, aber oft zumindest eine Reihenfolge. Dieses Wissen gibt Orientierung und hilft, das Gefühl zu haben, nicht einfach im luftleeren Raum zu hängen.
Warten wird bleiben – aber nicht alles ist Stillstand
Das Warten im Spital wird nie ganz verschwinden. Doch es kann leichter werden, wenn man kleine Rituale einführt, achtsam mit sich umgeht und sich innerlich sagt: Ich bin in guten Händen, auch wenn gerade nichts passiert.
Und wenn ich das nächste Mal vor einem Bett stehe und sage: „Bitte, haben Sie Geduld.“
Dann wissen Sie: Ich meine es mit Respekt, Mitgefühl – und mit dem festen Willen, den nächsten Schritt so schnell wie möglich zu gehen.
Wir gehen ihn gemeinsam. Schritt für Schritt.


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