Ein persönlicher Einblick in die stille Kraft des Vorbildseins
- ignatius ounde
- 24. Juli
- 3 Min. Lesezeit

Vor ein paar Tagen fand ich in meinem Briefkasten eine Postkarte. Auf der Vorderseite sechs junge Menschen mit offenen, herzlichen Gesichtern. Daneben der Satz: „Wir haben einstimmig beschlossen: Du bist super!“ Ich musste lächeln – erst über den Spruch, dann über die Spontanität der Geste. Doch was mich wirklich berührte, war das Innere der Karte: handgeschriebene Zeilen, kreuz und quer, in unterschiedlichen Farben. Worte voller Wärme, Reflexion und Dankbarkeit. Die Karte kam von einer Studentin, die gerade ihr Studienjahr auf unserer Station abgeschlossen hat und während ich las, wurde mir klar: Diese Karte ist viel mehr als ein netter Gruss. Sie ist ein stiller Spiegel. Ein Beweis dafür, wie sehr wir andere prägen – nicht durch grosse Taten, sondern durch kleine, ehrliche Begegnungen im Alltag.
Wir hinterlassen Spuren – auch wenn wir es nicht merken
In der Karte schreibt mein ehemaliger Mentee: „Ohne dich wäre ich nicht die Person, die ich heute bin.“ Das ist keine Selbstverständlichkeit. Es ist vielmehr eine Erinnerung daran, dass wir alle eine Verantwortung tragen – ob als Fachperson, Politiker, Vater oder Kollege. Wir sind Vorbilder. Nicht nur in dem, was wir tun, sondern auch in dem, wie wir es tun. Es sind unsere Haltungen, unser Umgang mit Zweifel, unser Mut, Dinge anzupacken, die andere zum Nachdenken bringen.
Was mich am meisten berührt hat, war nicht, dass ich jemanden „inspiriert“ habe – sondern wie. Nicht meine Leistungen waren es, die Eindruck hinterlassen haben, sondern meine Echtheit. Mein Mentee schreibt: „Du bist nie stehen geblieben. Du hattest immer neue Ziele. Und du warst bereit, sie zu verfolgen.“ Diese Worte zeigen mir, dass es nicht Perfektion ist, die inspiriert, sondern die Fähigkeit, sich weiterzuentwickeln – auch wenn man nicht immer genau weiss, wohin der Weg führt.
Mentoring ist Haltungsarbeit
In einem Gespräch hatte ich damals von meinen Fragen erzählt, von Entscheidungen, von Unsicherheiten. Für mich war es ein normales Gespräch. Für mein Gegenüber offenbar nicht: „Ich habe dadurch über mein Leben nachgedacht. Über meine Ziele. Und darüber, wie ich psychologisch-emotionale Hilfe leisten will.“
Solche Rückmeldungen machen mich demütig. Denn sie zeigen, dass Mentoring weit über Fachwissen hinausgeht. Es geht nicht darum, jemanden zu belehren – sondern darum, Haltung vorzuleben. Zuhören, Rückhalt geben, echte Fragen stellen, den eigenen Weg nicht verstecken.
Und es geht weiter. Denn aus Mentees werden Mentor:innen. Aus einem Moment der Ermutigung wird eine Haltung. Mein Mentee wird vielleicht selbst Menschen begleiten, stärken, inspirieren. So wie sie von mir getragen wurde, wird sie andere tragen. Das ist für mich die stille Kraft des Vorbildseins: Sie wirkt weiter, leise und tief.
Inspiration braucht ein Umfeld
Ich weiss aber auch, dass ich nicht allein inspiriere. Es ist unser gesamtes Stationsteam, das diese Atmosphäre mitprägt. Das Engagement, die Kollegialität, die Professionalität und das Vertrauen, das wir im Alltag leben – all das bildet den Rahmen dafür, dass junge Menschen wachsen können. Ich darf Teil eines Teams sein, das nicht nur gemeinsam arbeitet, sondern gemeinsam inspiriert.
Auf der Rückseite der Karte steht ein Satz, der mir besonders in Erinnerung geblieben ist: „Man kann immer weiterkommen – man muss es nur wollen und bereit sein, es zu versuchen.“ Es ist einer dieser Sätze, die man in einem Buch über Selbstentwicklung lesen könnte – aber hier kommt er aus dem Herzen eines jungen Menschen, der ihn sich nicht ausgedacht, sondern selbst erfahren hat und dann steht da noch: „Team Iggie forever“. Das rührt mich, ja. Aber es ist für mich kein Schulterklopfen. Es ist ein Auftrag. Ein Versprechen, das weiterzutragen, was ich selbst erleben durfte: Dass Mut ansteckt. Dass Zuhören Spuren hinterlässt. Dass man Menschen begleiten kann, ohne sie zu lenken.
Die Karte hängt jetzt an meinem Kühlschrank – nicht, weil ich mich feiern will, sondern weil sie mich daran erinnert, worauf es wirklich ankommt. Nicht auf Strategien, Checklisten oder Titel. Sondern auf das Zwischenmenschliche. Auf Begegnung. Auf das, was bleibt, wenn Worte und Gesten ehrlich gemeint sind.
Zum Schluss: Wen möchtest du heute inspirieren?
Zum Schluss stelle ich mir – und vielleicht auch dir – eine einfache Frage: Wen möchtest du heute inspirieren? Vielleicht reicht ein Gespräch. Vielleicht ein Satz. Vielleicht einfach nur, dass du zeigst, dass du nicht perfekt bist – aber bereit, weiterzugehen.

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