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„Ich will Pflegefachmann werden.“ – Ein Satz, der Hoffnung macht, aber auch Fragen aufwirft

  • Autorenbild: ignatius ounde
    ignatius ounde
  • vor 4 Tagen
  • 3 Min. Lesezeit

Neulich wurden meine beiden Söhne gefragt, was sie einmal werden möchten. Der eine antwortete wie immer mit strahlenden Augen: „Tierarzt.“ Der andere zögerte kurz, dachte nach – und sagte dann klar und überzeugt: „Pflegefachmann.“


Mich hat das tief berührt. Nicht nur, weil ich diesen Beruf selbst ausübe, sondern weil ich weiss, wie viel dieser Satz bedeutet. Pflege ist Nähe, Verantwortung, Teamarbeit, Fachwissen, Intuition. Sie ist Alltag und Ausnahmesituation zugleich.

Aber sie ist auch: Dauerbelastung, Personalmangel, chronische Erschöpfung. Ich kenne Kolleg:innen, die nach langen Jahren aussteigen – nicht, weil sie die Pflege nicht mehr lieben, sondern weil sie nicht mehr können.


Am 12. Mai, dem Internationalen Tag der Pflege, ist es Zeit für Anerkennung – und für ehrliche Bestandsaufnahmen.

Die Pflegeinitiative wurde mit grosser Mehrheit angenommen. Sie war ein klares Zeichen: Pflege soll gestärkt, ausgebaut und gesichert werden. Die Umsetzung ist allerdings kantonal geregelt – und entsprechend vielfältig.





Pflegeinitiative: Eine nationale Entscheidung, kantonal umgesetzt



Die Pflegeinitiative wurde 2021 vom Schweizer Stimmvolk mit grosser Mehrheit angenommen – ein historisches Zeichen für die Aufwertung unseres Berufsstandes.

Doch die Umsetzung liegt bei den Kantonen, und das führt zu einem Flickenteppich an Fortschritten und Herausforderungen – man könnte auch sagen: zu einem Kantonligeist, der nicht immer hilfreich ist, wenn es um nationale Lösungen geht.


In Zürich wurde eine eigene Fachstelle Pflegeinitiative eingerichtet. Sie begleitet die Umsetzung mit strukturierten Prozessen und setzt stark auf die Zusammenarbeit mit Bildungsinstitutionen und Gesundheitseinrichtungen. Neue Ausbildungsmodelle, koordinierte Praxisbegleitungen und Programme für Nachwuchsförderung sollen den Beruf attraktiver machen. Der Kanton sieht für die Förderung der Ausbildung im Bereich Pflege in den nächsten acht Jahren rund 100 Millionen Franken vor, wobei der Bund sich zusätzlich maximal mit einem Betrag in gleicher Höhe an den Kosten beteiligt. 


Der Kanton Aargau hat die Zahl der Ausbildungsplätze spürbar erhöht und zusätzliche Praktikumsstellen geschaffen. Förderprogramme für Quereinsteiger:innen laufen, vereinzelt wird auch mit angepassten Arbeitszeitmodellen experimentiert. Gleichzeitig engagieren sich viele Betriebe in der Begleitung von Lernenden – auch wenn der Personalmangel den Alltag weiterhin dominiert.


Zug hat früh auf finanzielle Anreize gesetzt, besonders in der Langzeitpflege. Auszubildende werden gezielt unterstützt, kleinere Institutionen erhalten zusätzliche Mittel. Der Kanton nutzt seine überschaubare Struktur, um Projekte direkt und pragmatisch umzusetzen – oft mit engem Austausch zwischen Verwaltung und Praxis.


In Bern wurde die Ausbildungsoffensive eng mit den bestehenden Fachhochschulen und Pflegezentren abgestimmt. Es entstehen neue Lehrangebote, und es gibt politische Vorstösse, um die Pflege auch langfristig auf dem Land zu sichern. Zudem wird verstärkt auf interprofessionelle Zusammenarbeit gesetzt, was neue Perspektiven eröffnet.





Zwischen Fortschritt und Stagnation: Was (noch) fehlt



Einige Betriebe führen schrittweise bessere Arbeitszeitmodelle, neue Karrieremöglichkeiten und Mitspracherechte ein – erste Erfolge, die Mut machen.

Manche Institutionen haben sogar die 40-Stunden-Woche eingeführt. Doch das bleibt die Ausnahme.

Und obwohl die Löhne in einigen Bereichen steigen, decken sie die Teuerung längst nicht ab – von echter finanzieller Anerkennung ganz zu schweigen.


Gleichzeitig zeigt sich: Die grossen Herausforderungen sind nicht mit einzelnen Reformen zu lösen.

Es braucht ein ganzheitliches Denken, das auch neue Themen mit einbezieht:


  • Digitalisierung & Automatisierung, um repetitive Aufgaben zu entlasten – ohne den Menschen zu ersetzen.

  • Nachhaltigkeit, nicht nur ökologisch, sondern auch im Umgang mit Ressourcen wie Zeit, Energie und Personal.

  • Diversität & Inklusion, damit Pflege ein Beruf für alle sein kann – unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft oder Familienmodell.

  • Psychische Gesundheit, nicht nur bei Patient:innen, sondern auch beim Personal.

  • Zukunftsorientierte Bildung, die Pflege nicht nur technisch, sondern auch ethisch, politisch und interdisziplinär denkt.






Pflege braucht nicht nur Reformen – sondern neue Denkweisen



Was uns bremst, sind nicht nur Strukturen, sondern oft Haltungen.

Noch immer dominieren vielerorts starre Hierarchien, veraltete Dienstpläne und die Vorstellung, dass Pflege sich anpassen muss – statt mitgestalten darf.


Dabei wäre genau das der Schlüssel:

Mehr Shared Governance, flexiblere Modelle, Pflege in strategische Entscheidungen einbinden, Führung neu denken.

Und: Wertschätzung nicht nur in Worten, sondern im Alltag erlebbar machen.





Ein persönlicher Wunsch zum Tag der Pflege



Ich wünsche mir, dass mein Sohn – sollte er sich wirklich für diesen Beruf entscheiden – in einem System arbeiten darf, das ihn nicht ausbrennt, sondern trägt.

Dass er nicht zwischen Menschlichkeit und Effizienz zerrieben wird.

Dass er erlebt, wie erfüllend Pflege sein kann – wenn man ihr Raum gibt.


Florence Nightingale hat im 19. Jahrhundert für grundlegende Reformen gekämpft. Sie hat nicht gewartet, bis jemand sie gefragt hat – sie hat gehandelt.


Es ist Zeit, dass wir uns ein Beispiel daran nehmen. Nicht nur in Sonntagsreden – sondern ganz konkret, in unseren Kliniken, Heimen und politischen Gremien.

Denn wenn die nächste Generation von Pflege träumt, dann tragen wir die Verantwortung, diesen Traum zu ermöglichen.



 
 
 

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