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Der Bildschirm zwischen uns

  • Autorenbild: ignatius ounde
    ignatius ounde
  • vor 4 Tagen
  • 5 Min. Lesezeit

Sie sehen es fast überall im Spital:

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Pflegefachpersonen sitzen vor Bildschirmen, die Finger bewegen sich schnell über Tastaturen, der Blick springt zwischen Kurven, Laborwerten und Verordnungen. Von aussen wirkt das manchmal wie 'sitzen und klicken'. Ich verstehe diese Irritation, besonders wenn Sie als Patient warten oder als Angehörige nach Orientierung suchen.

Letzte Woche ist mir diese Lücke zwischen dem, was sichtbar ist, und dem, was tatsächlich passiert, besonders bewusst geworden. Es war bereits nach Feierabend, doch ich sass noch am Computer. Nicht aus Ineffizienz, sondern weil es Dinge gab, die ich nicht einfach liegenlassen konnte – Einträge, die für die nächste Schicht wichtig sind, Informationen, die dafür sorgen, dass Ihre Behandlung nahtlos weiterläuft. Als ich endlich Richtung Ausgang ging, begegnete ich einer Patientin im Gang. Ich freute mich ehrlich, sie wieder auf den Beinen zu sehen – ein paar Tage zuvor war sie noch deutlich schwächer gewesen. Jetzt ging sie langsam, aber selbstständig, ein Hauch von Erleichterung im Gesicht.

Sie schaute mich überrascht an: 'Immer noch da?'

Ich lächelte: 'Ja, ich habe nur noch fertig dokumentiert.'

Sie lachte: 'Ich dachte, Sie sitzen da und schauen Formel 1 fertig.' Der Moment war leicht und freundlich. Und doch hat er bei mir etwas ausgelöst er zeigte, was viele Menschen wirklich denken, wenn sie am Stützpunkt vorbeigehen: 'Die sitzen nur da. Die haben Zeit. Die kümmern sich nicht.'

Und genau dort beginnt das Problem. Denn was Sie sehen, ist ein Bildschirm. Was Sie nicht sehen, ist das, was wir in diesen Minuten für Sie absichern.


 

Pflege findet nicht nur am Bett statt. Ein grosser Teil ist heute unsichtbar: Dokumentation, Koordination, Abgleiche, Kommunikation mit Ärzt:innen, mit Physiotherapie, Radiologie, Apotheke und vielen anderen Stellen. Das klingt nach Büro. In Wahrheit ist es Teil der Behandlung.

An Tagen, an denen ich Tagesverantwortung trage, wird es besonders deutlich. Zwischen mir und der Stationskoordination laufen oft Dutzende bis über hundert Telefonate und Rückfragen. Es geht um Patient:innen mit komplexen Krankheitsbildern, um kleine Details, die in der Summe entscheiden, ob es stabil bleibt oder kippt. Und viele dieser Fragen kann ich nicht einfach aus dem Kopf beantworten. Meine kolleg:innen und Ich muss nachschauen, prüfen, mit Kolleg:innen abgleichen. Manchmal bedeutet das: Telefon in die Hand, System öffnen, Verlauf prüfen. Das ist keine Beschäftigungstherapie. Das ist das Sicherheitsnetz, das im Hintergrund gespannt wird.


 

In der Hämatologie entscheidet oft der Trend, nicht der Einzelwert

Für viele Patientinnen und Patienten ist das Labor nicht einfach ein Ergebnis. Es ist Hoffnung und Angst zugleich. Blutwerte entscheiden mit darüber, ob eine Therapie weitergeht, ob eine Infektion droht, ob eine Transfusion nötig wird, ob jemand stabil genug ist für den nächsten Schritt.

Wenn wir Blut abnehmen, warten die Patient:innen oft innerlich mit: Sind die Werte besser als gestern? Und manchmal geht es um Minuten, nicht um Stunden. Am Bildschirm schaue ich nicht nur einen Wert an. Ich schaue auf Veränderungen. Was hat sich seit gestern oder heute Morgen verschoben? Was ist stabil? Was ist ein Warnsignal? Was muss sofort eskaliert werden, bevor es klinisch sichtbar wird? Von aussen wirkt das wie Tippen. In Wahrheit ist es Überwachung, Einordnung und Vorbereitung auf Entscheidungen.



Nach einer Visite kommen oft neue Verordnungen: Medikamente, Dosisänderungen, Monitoring, Diagnostik, neue Massnahmen wegen neuer Symptome. Diese Anordnungen müssen nicht nur irgendwie umgesetzt werden, sondern korrekt, vollständig und zum richtigen Zeitpunkt. Dazu gehört auch, Fragen zu stellen, wenn etwas nicht passt: Ist die Dosierung plausibel? Passt es zur Nierenfunktion? Gibt es Allergien? Interaktionen? Doppelverordnungen? Was ist priorisiert, was kann warten? Das System warnt uns manchmal. Aber denken müssen wir trotzdem selbst. Die Software ersetzt keine Verantwortung.

 

Am Stützpunkt laufen die Fäden zusammen: Labor, Mediplan, Vitalzeichen, neue Anordnungen, Abklärungen mit Physio, Radiologie und Apotheke, Austrittsplanung, Transporte, Hilfsmittel, Spitex, Gespräche mit Angehörigen, Rückfragen von Ärztinnen und Ärzten. Das ist keine Büroarbeit nebenbei. Das ist Teil der Behandlung. Wenn wir am Computer sitzen, arbeiten wir häufig nicht weg von Ihnen, sondern für Sie.

 


Trotzdem wäre es unehrlich, nur die Vorteile aufzuzählen. Der Bildschirm schluckt Aufmerksamkeit. Punkt. Wenn wir nicht aktiv dagegensteuern, entsteht Distanz. Für Sie fühlt es sich so an, als ob Sie uns nicht erreichen. Für uns fühlt es sich an wie ein Dauerzustand zwischen zwei Pflichten: Ich muss dokumentieren und Ich sollte im Zimmer sein.

Technologie darf nie zum Schutzschild werden. Sie ist ein Werkzeug. Beziehung bleibt unsere Verantwortung. Und ich glaube: Genau diese Ehrlichkeit braucht es, damit Vertrauen möglich bleibt.

Deshalb setzen einige Spitäler mit Lean Management auf sogenannte Lean-Wagen, damit Pflegefachpersonen in festgelegten Zonen arbeiten können, die näher bei den Patienten sind. Und in Zimmern mit vier Betten – ja, die gibt es noch in manchen Spitälern – werden Pflegefachpersonen so eingeplant, dass sie möglichst viel Zeit im Zimmer verbringen können, mit allen Vor- und Nachteilen, die das mit sich bringt.

 

Was wir als Pflege konkret besser machen können

 

Bevor ich mich für längere Zeit an den Computer setze, hilft häufig ein kurzer Kontakt. Nicht irgendwann. Jetzt. Blickkontakt, Name, eine kurze Frage: Wie geht es Ihnen gerade? Ein Satz Erklärung: Ich trage jetzt Ihre Vitalzeichen ein, damit die Ärztin oder der Arzt sie sofort sieht. Ein Zeitanker: Ich bin in etwa 15 Minuten wieder bei Ihnen. Eine letzte Klärung: Brauchen Sie vorher noch etwas?

Das dauert keine Minute und schafft Verständnis.

Wenn es die Situation zulässt, dokumentiere ich noch in Patientenzimmer oder erkläre kurz, was ich gerade erfasse: Ich dokumentiere jetzt, dass Sie das Schmerzmittel um 14:00 erhalten haben, damit die nächste Schicht es sicher weiss. Ein Satz, der aus Tippen wieder Pflege macht.

Wenn man alles bis zum Ende liegen lässt, entsteht Überzeit (passiert bei mir ab und zu, und ich weiss, ich muss mich verbessern), Fehleranfälligkeit und für Sie das Gefühl: Es passiert nichts. Kurze, regelmässige Dokumentationsblöcke und klare Teamabsprachen sorgen dafür, dass immer jemand erreichbar bleibt und die Arbeit nicht explodiert.

 

Was Sie als Patientin, Patient oder Angehörige tun können


Wenn etwas dringend ist, sagen Sie es klar und kurz: Mir ist übel und es wird stärker. Mein Schmerz ist jetzt 8 von 10. Ich bekomme schlecht Luft. Das hilft uns, sofort zu priorisieren.

Fragen, die Ihnen Orientierung geben und uns beim Planen helfen: Wann kommen Sie ungefähr wieder? Wann werden die Laborwerte voraussichtlich angeschaut?

Notieren Sie zwei bis drei Fragen für die Visite oder den nächsten Check-in. Das entlastet die Situation und führt oft zu besseren, ruhigeren Antworten.

 

Wenn Sie Ihre Pflegefachperson am Computer sehen, denken Sie bitte nicht zuerst an Netflix Tennis oder Formular 1. Denken Sie an ein Sicherheitsnetz. Hinter dem Bildschirm werden Verläufe geprüft, Risiken erkannt, Medikamente abgesichert, Abklärungen koordiniert und Übergaben vorbereitet, damit die nächste Schicht nahtlos weiterarbeiten kann.

Gleichzeitig ist Ihre Wahrnehmung legitim: Sie wünschen Präsenz, Orientierung und das Gefühl, gesehen zu werden. Genau darum ist die Aufgabe nicht, Computerarbeit zu verteidigen. Die Aufgabe ist, die Lücke zu schliessen: durch klare Kommunikation, kurze Check-ins und einen Pflegealltag, der Sicherheit und Menschlichkeit gleich ernst nimmt.

 

Ihre Perspektive interessiert mich: Wie haben Sie Technologie im Spital erlebt, als Patient:in oder Angehörige:r? Und falls Sie im Gesundheitswesen arbeiten: Was hilft Ihnen konkret, Bildschirmzeit und Bettzeit in Balance zu bringen?

 

 
 
 

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