
Prävention ist Macht
- ignatius ounde
- 30. Okt.
- 3 Min. Lesezeit
Gesundheit ist nie nur Hintergrundrauschen — nicht in Kenia, wo ich aufgewachsen bin, und auch nicht am USZ, wo ich heute arbeite.
In unserer Nachbarschaft in Nairobi gehörte Gesundheit zum Alltag — manchmal still, manchmal schmerzhaft sichtbar. Ich war neun Jahre alt, als eine Meningokokken-Meningitis unsere Schule traf. Es begann harmlos: Kopfschmerzen, Fieber, ein leises Flüstern im Klassenzimmer. Innerhalb weniger Tage waren drei meiner Mitschüler tot. Als Kind versteht man Verlust unmittelbar — die Kinder fehlten überall: auf dem Pausenhof, an den leeren Tischen, in der Stille, wo vorher Lachen war.
Dann kam Hoffnung — nicht als Wunder, sondern in kleinen Impfampullen. Gesundheitspersonal kam in die Schule, stellte uns in Reihen auf und impfte uns gegen Meningitis, selbstverständlich mit Erlaubnis der Eltern. Ich erinnere mich an den Geruch des violetten Spiritus, der beim Desinfizieren kühl auf der Haut lag, an das gedämpfte Schweigen. Es war eine schwere Zeit, aber als alle geimpft waren, war das eine Erleichterung: selbst wenn jemand erkrankt wäre, hiess das nicht mehr zwangsläufig Todesurteil. An diesem Tag wurde mir klar: Prävention ist wichtig — die Erkenntnis, dass eine kleine Spritze Leben retten kann, hat sich tief in mein Denken eingeprägt.
Als ich später Pflegefachmann wurde, wurde diese Lektion lauter denn je. Ich sehe täglich, wie Prävention Leben verändert — und rettet. Prävention zeigt sich oft in kleinen, alltäglichen Routinen: regelmässigem Händewaschen vor dem Essen und nach dem Heimkommen, dem gezielten Desinfizieren der Hände in Risikosituationen, rechtzeitigen Schutzimpfungen und einfachen Vorsorgechecks wie der Blutdruckmessung. Auch Hustenetikette, das frühe Erkennen von Fieber oder eine kurze ärztliche Rückfrage bei ungewöhnlichen Symptomen gehören dazu. Diese unscheinbaren Handgriffe verhindern häufig, dass harmlose Beschwerden zu schweren Erkrankungen werden — und summieren sich zu einem erheblichen Schutz für Einzelne und die Gemeinschaft.
Ich habe Menschen gepflegt, deren Leid vermeidbar gewesen wäre: Schlaganfälle nach unbehandeltem Bluthochdruck, Lungenentzündungen bei ungeimpften Seniorinnen und Senioren. Die Wissenschaft bestätigt, was ich in der Praxis sehe: Millionen Leben werden jährlich durch Impfungen und frühzeitige Prävention gerettet. Und doch bleiben viele Menschen ungeschützt — nicht nur, weil Medikamente fehlen oder wegen Skepsis (das möchte ich hier nicht weiter vertiefen), sondern auch weil bürokratische Hürden im Weg stehen.
Ein Beispiel, das ich erfuhr: In der Schweiz darf ein Hausarzt in ein Pflegeheim kommen, um Bewohnerinnen und Bewohner zu impfen — und das ist richtig. Doch qualifiziertes Apothekenpersonal, das geschult, motiviert und verfügbar wäre, darf oft nicht dasselbe tun. Solche Regeln entstanden einst mit guten Absichten, passen aber nicht mehr zur Realität moderner Gesundheitsversorgung. Wenn Bürokratie verhindert, dass Fachpersonal Menschen erreicht, wird sie selbst zur Gesundheitsgefahr. Studien zeigen: Wenn Pflegefachpersonen, Ärztinnen und Apotheker gemeinsam handeln, steigen Impfquoten und Patientensicherheit. Prävention gedeiht dort, wo Systeme Menschen vertrauen — nicht Formularen. Deshalb müssen wir als Politikerinnen und Politiker handeln. Wenn fähige Hände impfen wollen, aber alte Regeln sie bremsen, dann ist das System selbst der Patient, der Heilung braucht.
Mit dem Winter vor der Tür denken viele daran, gesund zu bleiben — gute Ernährung, Bewegung, ausreichend Schlaf. All das ist wichtig. Doch der einfachste und gleichzeitig mächtigste Schutzschild gegen Grippe bleibt die Impfung: eine kleine Geste mit grosser Wirkung für Körper und Gemeinschaft. Eine Impfung schützt nicht nur dich, sondern auch andere: die Grossmutter mit Asthma, den Nachbarn mit Krebs, das Kind mit schwachem Immunsystem. Jede Impfung ist eine mögliche Krise, die verhindert wurde — ein stiller Akt der Solidarität.
Echte Prävention bedeutet, alle Hindernisse zu senken, die zwischen Menschen und Gesundheitsvorsorge stehen. Wenn eine Regel verhindert, dass jemand Schutz erhält, dann muss diese Regel geändert werden. Gesundheitspolitik funktioniert nur, wenn Vertrauen, Zusammenarbeit und Empathie stärker sind als Bürokratie.
Wenn ich an jenen staubigen Schulhof in Nairobi denke — an Angst, Verlust und die Hoffnung danach — erinnert mich das daran: Prävention beginnt immer mit Menschen. Wir verfügen heute über Wissen, Werkzeuge und Beweise. Was uns oft fehlt, ist der Mut zu handeln — Barrieren zu beseitigen, zuzuhören und sicherzustellen, dass niemand zurückbleibt.
Darum:
💙 Ernähre dich gut.
💙 Bewege dich so oft du kannst.
💙 Schlafe ausreichend.
💙 Und wenn du es noch nicht getan hast — lass dich impfen.
Hinter jeder Spritze, jedem Check-up und jeder überarbeiteten Regel steht die Geschichte eines geliebten Menschen. Echte Fürsorge bedeutet, niemanden zurückzulassen — weder durch Bürokratie noch durch Gleichgültigkeit. Echte Gesundheit beginnt, wenn Prävention zu unserer gemeinsamen Geschichte wird.



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